Förderung

Begabungsförderung

Warum soll man hochbegabte Kinder fördern?

In vielen Ratgebern wird als Grund für die Notwendigkeit einer Förderung das Motiv des Underachievements angegeben. Der Anteil von Schülern, die Probleme dieser Art aufweisen ist jedoch einer aktuellen Studie zufolge sehr gering. Die meisten Hochbegabten bringen gute Schulleistungen. Diese Ergebnisse sollten Eltern und Freunde hochbegabter Kinder zunächst einmal erfreuen, räumen sie doch mit dem Vorurteil des intelligenten, aber sozial unfähigen Kindes auf! Sozial-emotionale Auffälligkeiten sind also nicht per se an Hochbegabung bzw. überdurchschnittliche Intelligenz gekoppelt. Aber welche Gründe für die Forderung nach Begabtenförderung gibt es dennoch vor diesem Hintergrund?

Bildungsauftrag der Schulen

Begabungsförderung ergibt sich zunächst einfach aus dem Bildungsauftrag der Schulen. Für Erziehung und Unterricht ist es Aufgabe der Schule, die Entfaltung individueller Fähigkeiten zu ermöglichen. Schule soll ein Lebensraum sein, in dem SchülerInnen in ihrer Individualität ernst genommen und befähigt werden, ihre Neigungen und Begabungen zu entdecken, zu entfalten und zunehmend selbstbestimmt mit ihnen umzugehen.

Hochleister oder Hochbegabt?

Studien belegen aber noch etwas anderes: Der Vergleich von hochleistenden und hochbegabten Schülern ergibt, dass die Leistungen der Hochbegabten im Durchschnitt geringer sind als die der Hochleistenden (Hochbegabte = 2,3 und Hochleistende = 1,3). Geht man nun davon aus, dass Hochbegabung prinzipiell ein Potential zur Hochleistung darstellt, stellt sich die Frage, warum die entsprechenden Leistungen nicht erbracht werden. Hier spielen die nicht-kognitiven Persönlichkeitsmerkmale eine Rolle.

Worin liegt die Schwierigkeit?

Während der Schulzeit müssen sich intellektuell begabte Kinder den Unterrichtsstoff häufig aneignen wie normal begabte Kinder: In demselben (für sie zu langsamen) Tempo, mit demselben (für sie zu leichten) Schwierigkeitsgrad und in demselben (für sie zu geringen) Umfang. Und dies trotz ihrer sehr viel schnelleren Auffassungsgabe, ihrer herausragenden Denk- und Gedächtnisfähigkeiten.

Vor einer besonders schweren Aufgabe steht dabei Lehrer in der Grundschule, da die Lernvoraussetzungen der Kinder sehr unterschiedlich sind. Bei intellektuell hochbegabten Kindern kann Langeweile und fehlende Anerkennung zu Motivationsverlust und Schulunlust führen. Dauert die Unterforderung über längere Zeit an, sind massive Lernschwierigkeiten vorprogrammiert.

Lernschwierigkeiten

  • Lerntechniken werden nicht entwickelt
  • Grenzen der eigenen Möglichkeiten werden nicht erfahren
  • die mit Anstrengung noch erreichbaren Erfolge werden nicht erfahren
  • keine oder wenig Konkurrenz
  • Bewältigungsstrategien für Misserfolge und Frustration werden nicht entwickelt

Zu massivem Stress bei Hochbegabten führen auch

  • Mangel an Herausforderung (besonders im Grundschulalter)
  • fehlende Kontakte mit hochbegabten Gleichaltrigen
  • Mangel an Information über geeignete Beschäftigungsmöglichkeiten
  • Langeweile und Ungeduld im Unterricht
  • fehlende Motivation

Diese Probleme können sich steigern bis hin zu störendem Verhalten, kompletter Leistungsverweigerung, Resignation, Problemen in der Familie, ernst zu nehmenden Depressionen und psychosomatischen Störungen.

Begabungsförderung heißt individuelle Förderung

Kinder und Jugendliche sollten immer wieder neue Anregungen erhalten, aber auch Arbeits- und Lernstrukturen entwickeln, um sich die für sie möglichen komplexen Lerninhalte zu erarbeiten.

Begabungsförderung ist zwar immer individuell, jedoch sind die Strukturen, Maßnahmen und Möglichkeiten, die hier notwendig sind auch für alle anderen Kinder wertvoll. Frei nach dem Motto „Die Flut hebt alle Schiffe“ werden auch Mitschüler, Geschwisterkinder oder Freunde von diesen Maßnahmen und Möglichkeiten profitieren können.

Zur Förderung hochbegabter Schüler gibt es unterschiedliche Maßnahmen. Ganz wichtig ist aber: Im Vordergrund steht immer die Frage, wie zufrieden das betroffene Kind und die Familie in der aktuellen Situation ist. Nur alleine weil eine Hochbegabung festgestellt wird, ist eine Verkürzung der Schulzeit durch Überspringen einer Klasse oder das Lernen eines Instumentes nicht indiziert.

Innerschulische Fördermaßnahmen (Auswahl)

Übliche innerschulische Instrumentarien sind zum Beispiel die Akzeleration (Beschleunigung) der Schulzeit durch Überspringen einer oder mehrerer Klassen, Teilakzeleration und das Enrichment (Anreichern) durch zusätzliche Fördermaßnahmen über den normalen Schulstoff hinaus. Mit diesen Fördermaßnahmen sind Nutzen, aber auch Nachteile verbunden. Auch sind nicht alle Maßnahmen für alle Kinder gleichermaßen geeignet. Hier gilt es, die Sinnhaftigkeit einer Maßnahme für jedes Kind sorgfältig abzuwägen und ihren Effekt regelmäßig zu überprüfen.

Akzeleration

Akzeleration ist die Beschleunigung der Schulzeit durch vorzeitige Einschulung oder Überspringen einer Klasse. Teilakzeleration bedeutet die teilweise Teilnahme am Unterricht der (nächst) höheren Klasse. 
Diese Maßnahme ist immer unter Berücksichtigung der Gesamtpersönlichkeit des Kindes zu sehen. Sie setzt an den Stärken des Kindes an. Neben der Motivation und der Lern- und Arbeitshaltung sind die soziale Kompetenz und auch die emotionale Reife wichtig für den Erfolg dieser Maßnahme. Ein genaues Abwägen der Vor- und Nachteile ist erforderlich: Wie hoch ist das Risiko, dass das Kind durch das Überspringen einer Klasse – sowohl im Hinblick auf die Menge des Schulstoffs, die es aufzuholen hat, als auch im Bezug auf den Umgang mit älteren Klassenkameraden – überfordert wird? Oder ist zu erwarten, dass es dem Kind durch die höhere intellektuelle Anforderung wie auch im Hinblick auf sein emotionales Befinden besser geht als vor dem Sprung? Wie reagiert die aufnehmende Klasse? Wie die neue Lehrerin?

Diese Aspekte sollten mit den Eltern ausführlich erörtert und die Vor- und Nachteile für das jeweilige Kind abgewogen werden.

Enrichment (durch die Lehrkraft)

Eine andere Möglichkeit der Förderung besteht in der Anreicherungen und Vertiefungen des Unterrichtsstoffs. Diese Maßnahme ist besonders für diejenigen überdurchschnittlich intelligenten Kinder geeignet, die sich in ihrer Klasse wohl fühlen und die auch lieber ihren speziellen Interessen in ihrer Freizeit nachgehen.


Enrichment bedeutet, dass dem Kind nicht einfach mehr Aufgaben der gleichen Art angeboten werden, sondern erweiternde Aufgaben und Themenfelder, sinnvollerweise begleitet durch Befreiung von (zu vielen) Wiederholungsaufgaben. Diese Maßnahme, also die „differenzierende Förderung aller Schüler“, ist an den meisten Schulen mittlerweile Unterrichtsalltag. Wichtig ist es für die begabten Kinder, dass es nicht ein „mehr“ an Aufgaben gibt, sondern ein „andersartig“; wiederholende Übungsaufgaben können für die SchülerInnen teilweise erlassen werden. Für den Großteil der Lehrer ist es selbstverständlich, entsprechende Ersatz-Angebote für interessierte und leistungsstarke Schüler anzubieten. Eine Methodenvermittlung ist dabei aber genauso wichtig.
Manchmal scheitern auch die Bemühungen der Lehrer, weil ein Kind zusätzliche Aufgaben schlichtweg ablehnt. Auch Hochbegabte schätzen ihre Komfortzone. In vielen Fällen akzeptieren Hochbegabte zusätzliche Angebote nur außerhalb der Schule. Wichtig ist es hier zu signalisieren, dass sich die Ablehnung von Zusatzmaterial nicht negativ auswirkt.

Drehtürmodell

Diese schulische Maßnahme kann einem hochbegabten Kind z.B. mit Beginn der zweiten Fremdsprache angeboten werden. Hier wird es dem Schüler ermöglicht, neben der zweiten schon eine dritte Fremdsprache zu erlernen. Der Schüler nimmt sowohl am Unterricht der zweiten als auch dritten Fremdsprache teil – aber jeweils nur zur Hälfte. Hier wird von den Schülern ein hohes Maß an Motivation und Lernbereitschaft eingefordert. Diese Maßnahme ist entsprechend nur für solche hochbegabten Kinder geeignet, die effiziente Lern- und Arbeitstechniken entwickelt haben und eine gute Leistungsbereitschaft zeigen. Von Seiten der beiden Fachlehrer der unterschiedlichen Fremdsprachen ist eine hohe Koordination gefordert.

Außerschulische Fördermaßnahmen

Außerschulische Maßnahmen sind in der Regel Kurse, die es hochbegabten Kindern ermöglichen, sich in kleinen Gruppen gleich befähigter Altersgenossen so intensiv mit interessanten Themen und Aufgaben auseinanderzusetzen, wie es ihren Fähigkeiten entspricht. Interessante Themengebiete durch ausgesuchte Referenten, meist in Nachmittags-, Wochenend- oder Ferienkursen angeboten.
Ziel dieser Kurse ist es, hochbegabte Kinder intellektuell stärker auszulasten (hochbegabte Kinder lernen gern!), um zu verhindern, dass Schulunlust oder Leistungsverweigerung auftreten. Das Arbeiten in kleinen Gruppen hat klare Vorteile: Es erlaubt den Referenten, auf die individuellen Bedürfnisse jedes einzelnen Kindes einzugehen. Außerdem wirkt sich der Besuch von Kursen auch im sozialen Bereich für die Teilnehmer oft positiv aus: Freundschaften werden geschlossen, die Teamfähigkeit wird gefördert. und oft können dadurch die Anforderungen an schulische Maßnahmen verringert.

Möglichkeiten der Förderung im Kindergartenalter

Vorbeugende frühe Förderung ab dem Kindergartenalter ist sinnvoll! Hochbegabung bei Kleinkindern bzw. Hochbegabung im Elementarbereich bedarf einer speziellen Berücksichtigung, da hier die Hochbegabungsdiagnostik diffiziler ist. Häufig ist eine Förderung der Hochbegabung bereits bei „Verdacht“ sinnvoll, um spätere Probleme zu vermeiden. 
In den ersten Lebensjahren wollen und können Kinder besonders gut lernen. Sie sind offen für Anregungen und entwickeln sich positiv, wenn angemessen gefördert wird. So wird schon früh der Grundstein für erfolgreiches Lernen gelegt. Auch im Hinblick auf die soziale Entwicklung kann es hilfreich sein, junge Kinder in speziellen Kursen für überdurchschnittlich Intelligente oder Hochbegabte zu fördern: Gerade kleine Kinder fühlen sich öfter aufgrund ihrer „Andersartigkeit“ von der Kindergartengruppe isoliert. Die Kinder in ausgesuchten Kursen zusammen zu bringen, vermittelt ihnen neben geistiger Anregung auch emotionale Stabilität.

Frühes Fördern ist echte Präventiv-Arbeit

Auch im Kindergarten oder der Kindertagesstätte können hochbegabte Kinder gut gefördert werden: Einige Einrichtungen bieten erste „Experimente“ für kleine Kinder an oder führen sie spielerisch an Fremdsprachen heran. Diese Angebote werden von hochbegabten Kindern in der Regel begeistert angenommen. Auch gibt es eine Reihe von anregenden Spielen und Materialien, zum Beispiel Strategiespiele, Konstruktions- und ausreichend Bastelmaterialien, Sachbücher und Nachschlagewerke. Die Möglichkeiten sind hier vielfältig.

Möglichkeiten der Förderung durch die Eltern

Auch zu Hause haben Eltern ausreichend Möglichkeiten, den Familienalltag interessant zu gestalten:

  • Ausflüge in Museen und Theater
  • Bücher ohne Limit: mit einem Ausweis der Stadtbücherei
  • kontrollierten Zugang zum Computer/Internet ermöglichen
  • Auswahl geeigneter Fernsehsendungen
  • Strategiespiele
  • Kontakte zu gleich Befähigten ermöglichen

Ein paar lokale und überregionale Tipps gibt es auf unseren Seiten Freizeitgestaltung und Förderangebote